Philipp Hessel
Vermögensbildung mit ETFs – von welchen Renditen und Risiken können Sie ausgehen?
Empirische Untersuchungen, die weit in die Vergangenheit reichen (Untersuchungszeitraum von über 100 Jahren), zeigen mit aller Deutlichkeit, dass Aktien die renditestärkste Anlageklasse sind. Renditechancen bedeuten immer auch, dass damit Risiken verbunden sind. Renditen bekommt kein Anleger geschenkt. Man könnte es so formulieren:
„Risiko ist die Währung, mit der Anleger Rendite einkaufen“.
Vor einem Engagement in Aktien sollten Sie sich eine Vorstellung darüber verschaffen, von welchen Renditen und Risiken überhaupt die Rede ist und wie man lernen kann, mit diesem untrennbar verbundenen Rendite-Risiko-Gespann umzugehen.
Renditen von Aktien, Anleihen und Anlagen mit risikolosen Zinsen
In einer Studie (vgl. Weber, Martin: Die genial einfache Vermögensstrategie, Frankfurt am Main 2020, S. 24 ff), die einen Zeitraum von 90 Jahren umfasst und in den 1920er Jahren in den USA ihren Anfang nimmt, werden die Renditen von Aktien, Anleihen und Anlagen mit risikolosen Zinsen untersucht. Hinter der Anlage mit dem risikolosen Zins stehen Staatsanleihen mit einer Laufzeit von drei Monaten. Bei den Anleihen handelt es sich um langlaufende Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren. Die Aktien sind breit gestreut und bilden den S&P 500-Index ab, der die 500 größten Unternehmen der USA umfasst.
Hätte ein Anleger im Jahr 1928 100 Dollar angelegt, so würde er oder seine Nachfahren heute über folgende Vermögenswerte verfügen:
Anlage mit dem risikolosen Zins: 2.060 Dollar
Anleihen: 7.300 Dollar
Aktien: 382.850 Dollar
Die Entwicklung der Aktien ist eindrucksvoll. Mit einer jährlichen Rendite von rund 9,5 Prozent hätte man mit Aktien 185-mal so viel verdient wie mit risikolosen Zinsanlagen. Gegenüber den Anleihen schneiden Aktien 52-mal besser ab.
Die Ergebnisse erstaunen auch deshalb, weil dieser lange Zeitraum keinesfalls von Kriegen und Krisen der unterschiedlichsten Art verschont war, im Gegenteil! Dass man trotzdem mit Aktien so stattliche Vermögenszuwächse erzielen kann, liegt eben an dem, was hinter den Aktien steckt. Durch deren Erwerb ist der Anleger an den Unternehmen der ganzen Welt beteiligt, wenn er das will. Und das funktioniert prächtig und ist auf die einfachste Art mit ETFs umsetzbar (s. Blogbeitrag zum Portfolio-Aufbau). Als Besitzer von Aktien nehmen Sie an der weltweiten Entwicklung der Unternehmen teil und profitieren von deren Innovationskraft, von den Ergebnissen aus der Forschung, vom technischen Fortschritt und letztlich von den Gewinnen und Dividenden sowie den damit verbundenen Kurssteigerungen. Damit ist der Anlageerfolg eng verknüpft mit dem realen Markt, und bei globaler Ausrichtung wird dieser durch das Wachstum der Weltwirtschaft bestimmt.
Keine Renditen ohne Risiko
Die Kehrseite der Rendite ist das Risiko. Eine gute Orientierung zur Größenordnung des mit einem Aktienengagement verbundenen Risikos geben die Daten des MSCI World-Index. Dieser legt weltweit gestreut an und umfasst rund 1.600 Einzeltitel aus 23 Industrieländern. Als Betrachtungszeitraum zur Einschätzung des Risikos steht der Zeitraum von 1975 bis 2019 zur Verfügung. Im Durchschnitt ergibt sich hier eine jährliche Rendite von 9 Prozent. Das gleiche Ergebnis findet sich auch bei Bogle für den US-amerikanischen Markt (vgl. Bogle: Das kleine Handbuch des vernünftigen Investierens, München 2019, S. 34 ff). Die Ergebnisse lassen sich auf die weltweiten Finanzmärkte übertragen.
Was das Risiko betrifft, erfolgt die gute Nachricht zuerst:
Wer in den vergangenen Jahrzehnten in beliebigen Zeiträumen von 15 Jahren in den MSCI World-Index investiert war, hat keinen Verlust hinnehmen müssen, egal zu welchem Zeitpunkt er eingestiegen ist.
Allerdings fallen die Renditen recht unterschiedlich aus, je nachdem wann ein Anleger investierte. Darüber hinaus können negative Renditen nicht ausgeschlossen werden, wenn die Anlagedauer unterhalb von 15 Jahren liegt, also beispielsweise 10 oder 5 Jahre beträgt. Dann ergeben sich in „Pechperioden“ negative Renditen. In „Glücksperioden“ liegen die höchsten Renditen dagegen deutlich über der durchschnittlichen Rendite.
Die folgende Tabelle (vgl. Finanztip: MSCI World-Index. So funktioniert das globale Kursbarometer, Stand: 20. März 2020, Website: www.finanztip.de/indexfonds-etf/msci-world/ ) zeigt die Renditeentwicklung des MSCI World-Index über 5, 10 und 15 Jahre. Unterschieden werden Phasen mit der niedrigsten und höchsten Rendite.
Durchschnittliche Renditen einer Anlage auf Basis des MSCI-World-Index

Quelle: Finanztip, s.o., sowie eigene Recherchen
Bei einer Anlagedauer von 15 Jahren beträgt im schlechtesten Fall die niedrigste Rendite 1,3 Prozent im Jahr. Im besten Fall wären 14 Prozent pro Jahr möglich gewesen, hätte man den günstigsten Einstiegszeitpunkt erwischt. Bei 15 Jahren Haltedauer fällt kein Verlust an. Bei kürzeren Laufzeiten werden die Spannen größer. Bei einer Anlagedauer von 5 Jahren sind im schlechtesten Fall jährliche Verluste von 9 Prozent angefallen. Das wäre passiert, wenn die Investition im April 2000 erfolgt wäre, also kurz vor dem Dotcom-Crash. Hätte dagegen ein Anleger im April 1980 investiert, konnte er sich 5 Jahre lang über eine jährliche Rendite von 28 Prozent freuen. Das ist im Untersuchungszeitraum ab 1975 die 5-Jahres-Periode mit den höchsten jährlichen Renditen.
Für den Umgang mit Risiko ist es weiterhin wichtig zu sehen, dass es im Zeitverlauf heftige Einbrüche an den Finanzmärkten gibt, denen sich auch der MSCI World-Index nicht entziehen kann. Derartiges muss ein Anleger aushalten können. Darauf kann er sich jedoch einstellen und das Risiko in seinem Portfolio durch Beimischung eines risikoarmen Bestandteils (z.B. Festgeld) abfedern. Ein Blick auf die größten Krisenphasen (Verluste von über 45 Prozent) der vergangenen 50 Jahre zeigt (in absteigender Folge) die Höhe der Verluste.
Die größten Verluste des MSCI World-Index in den letzten 50 Jahren

Quelle: Eigene Recherchen
Dem stehen Aufschwungphasen gegenüber, die letztlich dafür sorgen, dass auf lange Sicht die bekannten 9 Prozent Jahresrenditen (verlässlich) zu erzielen sind. Finanztip zeigt drei bemerkenswerte Aufschwungphasen des MSCI World-Index in den letzten 50 Jahren. In diesen Phasen sind zwar auch Abschwünge enthalten, sie betragen jedoch weniger als 20 Prozent.
Aufschwungphasen des MSCI World-Index

Quelle: Finanztip, s.o., sowie eigene Recherchen
Die Aussagen zum MSCI-World-Index gelten in vergleichbarer Weise auch für den DAX.
Die durchschnittliche Rendite über einen Zeitraum von 30 Jahren liegt zwischen 8,5 und 10 Prozent. Ab einer Haltedauer von ca. 13 Jahren war auch hier im schlimmsten Fall kein Verlust mehr zu beklagen. Schauen Sie sich das Rendite-Dreieck des Deutschen Aktieninstituts an (www.dai.de/de/das-bieten-wir/studien-und-statistiken/renditedreieck.html). Werfen Sie auch einen Blick auf den „liegenden Trichter“.
Der liegende Trichter:

Quelle: Deutsches Aktieninstitut
Der liegende Trichter wird mit der Zeit immer enger. Darin zeigt sich anschaulich:
Die Aktienanlage auf kurze Sicht kann sowohl sehr hohe Gewinne aber auch derbe Verluste bescheren. Das Risiko ist vergleichsweise hoch.
Bei längerer Haltedauer wird das Risiko permanent kleiner, und ab 13 Jahren Haltedauer gibt es im gesamten Betrachtungszeitraum keinen Verlust mehr.
Bei langer Haltedauer wird die Bandbreite, innerhalb derer die positiven Renditen schwanken, immer kleiner. Die minimalen und maximalen Renditen gleichen sich immer mehr an.
Die Chance, langfristig um die 9 Prozent Rendite im Jahr mit breit streuenden AktienETFs verdienen zu können, muss sich kein Anleger entgehen lassen. Ein Wermutstropfen bleibt: Die Inflation. Sie ist in den 9 Prozent nicht enthalten. Die reale Rendite liegt dann bei etwa 6 Prozent im Jahr, wenn langfristig eine jährliche Inflationsrate von 2 bis 3 Prozent unterstellt wird.
Das muss Sie als Anleger aber nicht weiter grämen. Viel wichtiger ist es zu erkennen, dass die o.g. Renditen als Orientierungsgröße für die zukünftige Entwicklung der Renditen angesehen werden können. Schwankungen bei den Renditen sind zwar immer zu erwarten. Es existiert jedoch ein Phänomen, das bestens geeignet ist, Renditeschwankungen gelassener zu sehen und zu überstehen. Dabei handelt es sich um eine Tendenz zum Durchschnitt/Gleichgewicht, die als
„Regression zum Mittelwert“
bezeichnet wird.
Das ist sehr einfach zu erklären und in empirischen Studien nachgewiesen.
Dahinter steht die Erkenntnis, dass Überrenditen in Aufschwungphasen und Verluste in Abschwungphasen sich langfristig ausgleichen und die Renditen zu ihrem Mittelwert zurückkehren. Über- und Unterrenditen sind demnach nur vorübergehende Erscheinungen, die sich nach einiger Zeit (grober Richtwert liegt bei 5 Jahren) ausgleichen und auf ihren „Rendite-Pfad“ zurückfinden, der uns reale Renditen von etwa 6 Prozent pro Jahr verspricht.
Die Deutschen und Aktien – nur scheinbar beste Freunde
So könnte man die Ergebnisse vieler Studien zusammenfassen, die sich mit dem Verhalten der deutschen Anleger bei der Aktienanlage beschäftigen.
Salopp ausgedrückt, zeigen die Ergebnisse, dass viele deutsche Anleger mit Aktien „nicht richtig warm werden“. Bedenken, Ängste, geringes Finanzwissen und verzerrte Wahrnehmungen von Risiken dominieren das Bild, das Deutsche von Aktien haben. Nicht zuletzt spielt hier auch ein „gelerntes Desinteresse“ bezüglich der Themen Wirtschaft und Finanzen eine Rolle, was viel mit der schulischen Ausbildung zu tun hat. Diese Themen werden, um es zurückhaltend auszudrücken, dort eher gering geschätzt.
Wie wäre es jetzt mit einem neuen Bild von den Aktien, die sich ja nur auf den ersten Blick als hinterhältig, gefährlich und böse darstellen, die nur wenige richtig verstehen (wollen), gegen die sich emotionale Widerstände richten und deren Risiken überbewertet werden?
Was wirklich zählt sind die Fakten. Und die bescheinigen der Aktienanlage auf lange Sicht verlässliche Renditen.

Das Zitat stammt von John Kenneth Galbraith, und mit Paternoster ist ein Aufzug gemeint, den es heute nur noch selten gibt. Mit dem lateinischen pater noster = unser Vater hat das nichts zu tun.